Wenn ein Bankräuber auf der Flucht einen Polizisten erschießt, um nicht gefasst zu werden, oder ein Vergewaltiger nach der Vergewaltigung sein Opfer umbringt, damit es diesen nicht wiedererkennt, so erfüllt dies das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht. Eine entsprechende Verurteilung wird in aller Regel die Folge sein.
Gilt nun das Gleich für denjenigen, welcher einem Patienten ein falsches Medikament verabreicht bzw. einen lebensgefährlichen Behandlungsfehler begeht und dann, um einer Sanktionierung hierfür zu entgehen, die Aufklärung, aber auch jegliche Rettungsbemühungen diesbezüglich verhindert?
Vor 2 Jahren hatten wir das erste Mal über diesen Fall berichtet; damals konnten wir nicht ahnen, dass das Verfahren nun so einen Verlauf nimmt. Die Podcast-Folge dazu findet ihr hier: Erst ein Flüchtigkeitsfehler – dann die Mordanklage vor dem Schwurgericht (Podcast-Folge), oder überall dort, wo es Podcasts gibt.
Vor einer Woche hatten wir hier in einer Podcastfolge über diesen Fall und das Verfahren berichtet.
Ein Schwurgerichtsverfahren in 3 Akten
Das Landgericht Landshut hatte im Jahre 2019 über folgenden Sachverhalt zu entscheiden.
Angeklagt waren dort drei Mitarbeiter eines Alten- und Pflegeheimes aus Mengkofen im Landkreis Dingolfing-Landau, Frau N. die Schichtleitung von Pflegerin D und Pfleger P. Allen drei war Mord durch Unterlassen vorgeworfen worden. Die Tat ereignete sich im Mai 2016.
Was war geschehen? Ein krebskranker Patient erhielt am 07.05.2016 im Rahmen der alltäglichen Mittagessensausgabe versehentlich die Blutdruckmedikation der Patientin H. Es handelte sich um Valsartan, also einen Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten. Welche zusätzliche Medikation der Patient im Übrigen noch verordnet bekommen und eingenommen hatte, ergibt sich aus den zugänglichen Unterlagen nicht. Die Verwechslung wurde jedoch recht schnell festgestellt und zwar durch die Patientin H. Diese stellte nämlich unmittelbar fest, dass die ihr zur Einnahme überreichten Medikamente nicht ihren üblichen entspreche. Die Verwechslung mit der verordneten Medikation des krebskranken Patienten fiel also auf. Ein Austausch der Medikamente war jedoch nicht mehr möglich, der Patient hatte die Medikamente bereits zu sich genommen. Anstatt jedoch nunmehr Gegenmaßnahmen zu ergreifen und ärztliche Hilfe zu suchen, Hielt die N ihre Kollegin D dazu an, nichts weiter zu veranlassen und den Mantel des Schweigens über den Fehler zu breiten. Im Rahmen einer noch am selben Tag erfolgenden Dienstübergabe unterrichtete N ihren Kollegen P von der Medikamentenverwechslung, gab weiter an, dass ein Arzt nicht verständigt werden müsse. Pfleger P stellt seinerseits nun fest, dass der Patient deutlich hypoton war, was ihn dazu bringt mit seiner Kollegin N zu telefonieren, um diese über den Zustand des Patienten zu informieren. Auf seine Frage, ob nicht doch ein Arzt hinzugezogen werden sollte, erwiderte N: „Spinnst du, die sperren mich ein.“ Der Pfleger P informierte im weiteren Verlauf zwar noch das Palliativteam, den betreuenden Hausarzt, jedoch zunächst ohne die Medikamentenverwechslung zu thematisieren. Erst 4 Tage später rückte P dem Hausarzt gegenüber mit der Wahrheit raus. Dieser entschied den Patienten aufgrund seines massiv verschlechterten Zustandes lediglich palliativ zu behandeln. Drei Tage später verstarb der Patient.
Die genaue Todesursache konnte nicht geklärt werden, da eine rechtsmedizinische Untersuchung des Leichnams nicht mehr möglich war, dieser war bereits eingeäschert worden. Es bestehen jedoch naheliegende Annahmen, dass die fehlerhaft verabreichten Medikamente maßgeblichen Einfluss auf den Todeseintritt hatten, wenngleich auch kein Kausalitätsnachweis geführt werden konnte.
Bereits im ersten Urteil war das Landgericht Landshut von dem Vorwurf des Mordes durch Unterlassen abgerückt. Es fehlte der besagte Kausalitätsnachweis zwischen der Medikamentenverwechslung und dem eingetretenen Tod. Es erfolgte vielmehr eine Verurteilung wegen versuchten Mordes. Als Mordmerkmal sah das Gericht eine Verdeckungsabsicht erfüllt und verurteilte am 21.05.2019 N zu 2 Jahren und 9 Monaten, D zu 1 Jahr 9 Monaten und P zu 1 Jahr 6 Monaten, wobei in den Fällen von P und D die Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden konnten, was sich im Fall von N nicht ergab, da eine Freiheitsstrafe von über 2 Jahre ausgeurteilt worden war.
N ging mit ihrer Verteidigung in Revision.
Mit Urteil vom 19.08.2020 hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Landshut mit allen Feststellungen auf und zwar – jetzt wird es besonders und dies ist nicht unbedingt an der Tagesordnung – mit Erstreckung auf die Mitangeklagten D und P (§ 357 StPO), die ihrerseits gerade kein Rechtsmittel eingelegt hatten. (Anm.: D und P dürfen sich bei N bedanken. Ohne deren hartnäckiges Kämpfen – auf der anderen Seite auch verständlich bei einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten – stünde bei beiden eine Verurteilung über einem Jahr im Bundeszentralregisterauszug, was nicht gerade den besten Leumund darstellt.)
Somit war das Verfahren wieder am Landgericht Landshut anhängig, selbstverständlich bei einer neuen Strafkammer. Dieses hat nun im Rahmen des zweiten Verfahrens (was vermutlich auch Corona bedingt zwei Anläufe brauchte) alle drei Angeklagten, N, D und P am 05.11.2021 erneut zu Freiheitsstrafen verurteilt, diesmal jedoch wegen unterlassener Hilfeleistung. Die einzelnen Strafen betragen für N 6 Monate, für D 4 Monate und P 2 Monate, wobei alle Strafen zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Urteil soll nach Angaben des Vorsitzenden Richters auf einer Verständigung beruhen (§ 257c StPO). Insoweit ist damit zu rechnen, dass dieses Urteil rechtskräftig wird, wenn es dies nicht schon ist. Was konkret eine Absprache im Strafverfahren ist, kann hier zurückstehen, da es für die weiteren Ausführungen nicht von Bedeutung ist.
Epilog von uns:
Es steht uns nicht zu zubeurteilen, ob ein solches Urteil „gerecht“ oder nicht ist. Was aber in jedem Fall unserer Auffassung nach zu berücksichtigen ist, ist dass die Betroffenen seit 2017 mit einem gegen sie gerichteten Ermittlungs- und Gerichtsverfahren konfrontiert waren. N und D saßen sogar in Untersuchungshaft. N musste zudem stets befürchten eine zeitige Freiheitsstrafe im Gefängnis absitzen zu müssen. Alles in allem sicherlich eine Zeit, welche auch an den Angeklagten nicht spurlos vorbeigegangen sein dürfte.
Anderseits handelt es sich zwar um einen präfinalen, also schwerstkranken Patienten, dessen Tod tatsächlich absehbar war. Dies darf aber NIE zu einem Freibrief für Untätigkeit führen und schon gar nicht als Begründung für fehlende sach- und fachgerechte Versorgung auch in der letzten Phase des Lebens herhalten. Medizinische und oder pflegerische Untätigkeit, aber auch das Vertuschen von Fehlern ist in keiner Lebensphase und unter keinem Gesichtspunkt akzeptabel.
Die Grenze zwischen einem vorsätzlichen Verdeckungsmord und einer „bloßen“ unterlassenen Hilfeleistung kann wesentlich schmaler sein, als jede Türschwelle einer JVA.
Lehren aus dem Stück in 3 Akten
Auch wenn in dem vorliegenden Sachverhalt eine Verurteilung wegen Mordes keinen Bestand hatte, so ist die zugrunde liegende Lebenssituation keine, die als super selten klassifiziert werden kann. Vielmehr kommen Fahrlässigkeitsstraftaten immer wieder vor und zwar in allen Bereich des Gesundheitswesens. Wie aber sollten, wie aber muss man sich verhalten?
Hierzu wollen wir uns einmal überblicksartig an 4 Punkten das Urteil des BGHs anschauen und zwar mit der Fragestellung, wann mache ich mich des Verdeckungsmordes strafbar, wenn dem Behandelnden fahrlässig ein Behandlungsfehlern (vorliegend das Vertauschen der Meidkamente) unterlaufen ist. Aber auch mit der Fragestellung, wann und unter welchen Voraussetzungen darf uU. ein Behandlungsabbruch erfolgen.
(1) Vertauscht der „Täter“ ein Medikament aus Unachtsamkeit, bzw. begeht einen objektiven Behandlungsfehler und unterlässt im Anschluss jegliche Rettungsversuche zu unternehmen, ist ein „Tötungsvorsatz“ immer dann anzunehmen, wenn er einen Rettungsversuch für möglich hält. Eine sichere Gewissheit des Todes – wie es der 5. Senat des BGHs iZm. mit dem Göttinger Organskandals entschieden hatte (wobei unklar ist, warum der 5. Senat sich gegen die ansonsten gepflegte Rechtsprechung gerichtet hatte, bleibt nach Ausführungen des 1. Strafsenates im Dunkeln) entschieden hatte – muss gerade nicht vorgelegen haben. Angesichts der Tatsache, dass es nur wenige Substanzen geben dürfte, bzw. die allermeisten Behandlungsfehler einer grundsätzlichen Rettung zugänglich sein dürften, ist in den meisten und denkbaren Situationen die Annahme eines Vorsatzes nicht gerade fernliegend.
Heißt: Wenn ich einen Fehler von mir durch Schweigen und Untätigkeit versuche zu vertuschen, erfülle ich sehr schnell die Voraussetzungen eines bedingten Tötungsvorsatzes, da ich nur in den seltensten Fällen davon ausgehen darf, dass jede Rettung zu spät kommt.
(2) Des Weiteren braucht der Täter erstens keine Absicht (also die gesteigerte Vorsatzform), um das Merkmal der Verdeckungsabsicht aus § 211 StGB zu erfüllen, Der sog. bedingte Vorsatz (sog. Eventualvorsatz, also die billigende Inkaufnahme des Erfolges) kann ausreichend sein (BGH 4 StR 361/17 Urteil vom 15.02.2018; 1 StR 160/18 Urteil vom 24.04.2018).
Heißt: Ich muss den Tod des Patienten nicht zwangsläufig wollen (die sog. Absicht und stärkste Vorsatzform), bzw. – wie ja auch bereits oben schon erwähnt – sicher wissen, dass dieser eintreten wird (wie, wenn ich jemanden in den Kopf schieße bspw.), es reicht also aus, wenn ich diesen – also den Tod des Opfers – billigend in Kauf nehme.
(3) Darüber hinaus muss die Verdeckungsabsicht nicht das einzige Tatmotiv sein, welches den Täter zu seiner Tat, in Fällen eines Behandlungsfehlers, also das Untätig bleiben, bzw. das Unterlassen von Rettungsbemühungen, bringt. Es kann also durchaus ein ganzes Motivbündel – wie es der BGH nennt – vorliegen. Die Verdeckungsabsicht muss aber für sich genommen eine wesentliche Triebfeder sein und bei Einzelbetrachtung auch bleiben.
Heißt: Wenn ich also im Fall eines lebensbedrohlichen Behandlungsfehlers Rettungsbemühungen hierüber nicht einleite und über diesen auch nicht aufkläre, weil ich so umgehen will dafür belangt werden zu können (Verdecken/Vertuschen der zuvor begangenen fahrlässigen Körperverletzung), muss dies meine stärkste Motivation sein. Etwaiges, bedingtes Einsehen mit dem Leiden des betreffenden Patienten, muss dahinter immer ganz deutlich zurückstehen, damit die Verdeckungsabsicht angenommen werden kann.
(4) Kommt es im Rahmen z.B einer Palliativbehandlung zu einem erheblichen Behandlungsfehler, stellt sich, wie auch in dem zugrundeliegenden Sachverhalt aus dem Pflegeheim die Frage, ob eine Behandlung aufgrund der eingetretenen Veränderung des Gesundheitszustandes im Sinne des Patienten eingestellt werden darf. Nach Ansicht des BGHs kann ein Behandlungsabbruch immer nur in Übereinstimmung mit dem konkreten, bzw. mutmaßlichen Patientenwillen erfolgen. Außerdem ist in jedem Fall ein Arzt zu konsultieren, der allerdings einzig über die medizinische Indikation gewisser Maßnahmen befinden und urteil darf. Eine ethische Beurteilung ist ihm verwehr. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, liegt strafrechtlich ein Rechtfertigungsgrund vor. Unberührt bleiben mögliche zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, die möglicherweise durch den Behandlungsfehler entstanden sind.
Heißt: Habe ich es mit einem einwilligungsfähigen Patienten zu tun und sagt dieser, dass eine Behandlung trotz des Fehlers nicht gewünscht ist, darf die Behandlung eingestellt, aber nur wenn ein Arzt dabei ist. Ist der Patient nicht mehr einwilligungsfähig, so ist der mutmaßliche Wille zu erforschen. Kann ich dies konkret tun (bspw. auch anhand einer Patientenverfügung und ergibt dieser, dass eine Behandlung nicht gewünscht wäre, darf gleichfalls unter ärztlicher Leitung die Behandlung eingestellt werden. Hier wirkt der Behandlungsabbruch wieder rechtfertigend. Ob ich für den Behandlungsfehler verklagt werde kann, bleibt davon unberührt. (Dieser Umstand dürfte dazu geführt haben, dass gegen den Hausarzt in dem Ausgangsfall nicht verhandelt wurde, obgleich er 3 Tage vor dem Tod des Patienten von der Verwechslung des Medikamentes verfahren hatte.)
Natürlich drängt sich insgesamt die Frage auf, ob das Ganze nicht einfach nur ein rein akademischer Streit ist, insgesamt mit wenig Realitätsbezug?
Da man im Strafrecht immer selber und nur persönlich hafte und platt gesagt keine Versicherung für einen ins Gefängnis gehen kann, bzw. es tun würde, ist es bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit recht relevant. Steht der Verdacht eines Verdeckungsmordes im Raum, ist alleine der Strafrahmen exorbitant unterschiedlich, mit einer reinen Geldauflage ist dann eher wenig zu rechnen. Es ist also kein rein akademischer Streit, sondern ein ganz wesentliches Entscheidungskriterium. Anzumerken ist ferner, dass auch die Verjährung eine unterschiedliche ist, aber das tatsächlich nur am Rande.
Unser Fazit
Nicht nur derjenige, welcher einen Fehler versucht zu vertuschen, geht die oben beschriebene Gefahr ein, auch unter Umständen derjenige, welcher davon erfahren hat und dennoch untätig bleibt. In erster Linie betrifft dies natürlich die Menschen, welche eine Garantenrolle dem Patienten gegenüber inne haben. Da allerdings wird in den allermeisten Pflege- und Behandlungssettings der Fall sein.
Auf der anderen Seite gibt es nun auch keinen Grund panisch immer und zu jeder Zeit mit einer Verurteilung wegen Mordes zu rechnen. Eine Knasttasche muss niemand gepackt zuhause haben.
Wenn allerdings Fehler passieren, sollte man im Sinne des Patienten immer und sofort alles notwendige einleiten, um diesen wieder „auszubügeln“ und dem Patienten bestmöglicht zu helfen. Insoweit muss es auch nicht zwangsläufig zu einer Verurteilung wegen der fahrlässigen Straftat kommen, da ein möglicherweise eingeleitetes Ermittlungsverfahren – wenn dieses überhaupt tatsächlich eingeleitet worden ist – unter Umständen auch folgenlos eingestellt werden kann. Dies allerdings geht nicht, sobald der Vorwurf eines Verdeckungsmordes im Raume steht. Dh. an dieser Stelle kann man durchaus durch die eigene Handlung die Zügel in Hand nehmen, die man durch Untätigkeit aus Hand legen würde. Grundsätzlich gilt jedoch auch hier: Sollte man sich einem Strafverfahren ausgesetzt sehen, so ist es eine Selbstverständlichkeit sofort und unmittelbar einen Strafverteidiger zu kontaktieren und selbst umgehend zu verstummen.
Quellenangaben:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.08.2020 Az. 1 StR 474/19
Patient aus Niederbayern stirbt wegen falscher Medikamente (BR vom 08.09.2017)
Altenpfleger wegen Mordes durch Unterlassen angeklagt (BR13.06.2018)
Tod nach Medikamenten-Verwechslung: Neuer Prozess in Landshut(BR vom 14.05.2021)
Tod nach Medikamenten-Verwechslung – Prozess wird neu aufgerollt (BR vom 01.10.2021)
Tod nach Arzneiverwechslung: Bewährungsstrafen für drei Pfleger (SZ vom 05.11.2021)
Tod nach Arzneiverwechslung: Bewährungsstrafen für drei Pfleger (BR vom 05.11.2021)
