Manchmal ist das Licht am Ende eines Tunnels nicht der entgegenkommende Zug, sondern das langersehnte Ende einer Fahrt durch den Berg. Seit Einführung des Notfallsanitätergesetzes wurde darum gestritten, ob die eigenständige Gabe von Betäubungsmitteln durch Notfallsanitäter im Rahmen eines Notfalleinsatzes zulässig und erlaubt ist. Der Streit um die medizinische Notwendigkeit ist dabei nicht gemeint. Selbst mit der Einführung des § 2a NotSanG änderte sich hieran nichts.
Es gab Kreise in denen es Notfallsanitätern „erlaubt“ war, im Rahmen festgelegter Algorithmen Betäubungsmittel (zumeist Morphin, Piritramid, selten auch Fentanyl) ohne vorherige ärztliche Konsultation zu verabreichen. Es gab Kreise, welche die Gabe an eine vorherige, zumindest telefonische Rücksprache mit einem Arzt knüpften. Es gab aber auch viele Kreise, die eine eigenständige Opiatgabe durch Notfallsanitäter grundsätzlich untersagten. Zumeist wurden die entsprechenden Medikamente gar nicht auf dem Rettungsfahrzeug mitgebührt.
Für alle Kreise galt jedoch das Betäubungsmittelgesetz als Bundesgesetz verbindlich. Wer sich nun fragt, wie eine solche unterschiedliche Herangehensweise möglich ist, fragt sich zurecht. Die Fragestellung, ob dies überhaupt im Rahmen der gültigen Regelungen möglich ist, wurde immer wieder kontrovers diskutiert. Es gab ein paar Juristen, die der Ansicht waren, dass dies zulässig sei, es gab auch die gegenteilige Ansicht, die wir im Übrigen auch stets vertreten haben. Und wer dachte, dass auch im Rahmen dieses Konfliktes der § 34 StGB, das im Rettungsdienst geliebte Rettungstuch, zur Verfügung stünde, dürfte die Ausschließlichkeitsregelung und die ultima ratio des BtMG wohl zu lax gesehen haben. Natürlich ist dem auch entgegen zu halten, dass es kaum Strafverfahren wg. Verstoßes gegen das BtMG gab, was allerdings nicht als eigene Auffassung zu sehen ist. Eine abschließende Antwort gibt es unserer Auffassung nach nicht, muss es jedoch nun auch nicht mehr. Denn so hat der Bundestag in seiner 113. Sitzung am 23.06.2023 einer Änderung des Betäubungsmittelgesetztes, der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung und des Notfallsanitätergesetztes zugestimmt. Am 07.07.2023 hat nun der Bundesrat der Änderung zugestimmt, so dass das beschlossene Gesetz dann in Kraft tritt, wenn es vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist. Damit ist noch in diesem Monat zu rechnen.
Was aber hat diese Änderung mit sich gebracht?
In § 13 BtMG wird Absatz 1b eingeführt. Dort wird Folgendes geregelt:
(IIb) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen
1. den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,
2. Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
3. Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet wer- den kann
Im Notfallsanitätergesetz wird klarstellend in § 2a und § 4 II Nr 1c nach dem Wort invasiv, „oder medikamentös“ eingefügt. Dies erfolgt letztlich nur, um zu vermeiden, dass es zwischen dem NotSanG und dem BtMG zu möglichen Wertungswidersprüchen kommen kann und so ein unnötiger, neuer Streit von irgendeinem Zaun gebrochen werden kann. Denn sowohl das BtMG als auch das NotSanG sind und bleiben ein Bundesgesetz und sind damit in allen 16 Bundesländern gültig.
Die erfolgte Änderung in der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) regelt konsequent, dass der handelnde Notfallsanitäter die Aufzeichnungen des Verbleibs und Bestandes von Betäubungsmitteln selbst dokumentieren darf. Was letztlich aber nicht nur eine reine Formalität ist, sondern auch gewisse Verpflichtungen mit sich bringt.
Schauen wir nochmals auf die erfolgende Änderung im BtMG.
Voraussetzung zur eigenständigen Gabe von Betäubungsmittel im Rahmen eines Notfalleinsatzes sind damit folgende Punkte, einmal gerafft und geordnet:
- Die Verabreichung eines BtM-Medikamentes ist zur Abwendung einer Gefahr für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich.
- Das Eintreffen eines Arztes kann nicht abgewartet werden.
- Eine standardisierte, ärztliche Vorgabe besteht, wobei diese
- dem handelnden Notfallsanitäter in Textform vorliegen muss,
- die SOP konkrete Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten muss
- und ferner klare Regelungen treffen muss, wann der Punkt „das Eintreffen eines Arztes nicht abwarten können“ vorliegt und wann damit die Voraussetzungen erfüllt sind, dass eine eigenständige Medikamentengabe zulässig ist.
Dies schafft nun für die Kreise, die bisher schon immer mutig waren und ihrem nichtärztlichen Fachpersonal vertrauen, die legale Möglichkeit für eine qualitativ hochwertige Notfallrettung Sorge zu tragen. Sollten hierbei Stimmen auftauchen, welche polemisierend behaupten, dass eine qualitativ hochwertige Notfallrettung nicht alleine von der Gabe von Betäubungsmittel abhängt, so sei diesen entgegnet, dass dies vollkommen richtig ist. Dennoch bleibt eine leitliniengerechte medikamentöse Analgesie bspw. ein wichtiger und nicht wegzudenkender Teil der präklinischen Notfallmedizin.
In den Kreisen und Bundesländern, in welchen einem examinierten Notfallsanitäter noch nicht einmal die Gabe von Sauerstoff über 6 l/min zugetraut wird, (die hier versteckt polemisierende Formulierung möge man uns bitte nachsehen, wir sind dennoch um Objektivität bemüht) wird sich auch mit dieser Regelungen nichts ändern. Auch wenn natürlich in der Gesetzesänderung ein ganz klarer Wille des Bundesgesetzgebers zum Ausdruck kommt. Hier aber beißt sich dann die föderalistische Katze leider in ihren eigenen Schwanz, da die Ausgestaltung des Rettungsdienstes und damit auch die präklinische Notfallversorgung in den Länderkompetenzbereich, genauer in den Kompetenzbereich der Kreise (inklusive aller Kreisfreier Städte) fällt. Man kann an dieser Stelle nur hoffen, dass neben der Evolution, auch die Einsicht in den Köpfen zu einer Veränderung führt.
Es sei nicht unerwähnt, dass der Bundesrat bereits im Jahre 2013, im Rahmen des Gesetzesverfahrens zum damals neuen Notfallsanitätergesetz, den Vorschlag einbrachte, im Zuge der Novellierung auch die restriktiven Bedingungen im Betäubungsmittelrecht anzupassen, um ggf. eine eigenständige Gabe von BtM durch Notfallsanitäter zu ermöglichen. Dies wurde von verschiedenen Institutionen boykottiert und damit nicht übernommen. Gut, dass nach 9 Jahren nun endlich die dringend notwendige Anpassung erfolgte.
Nicht verschwiegen werden soll, dass auch die Strafvorschriften des BtMG und damit § 29 angepasst worden ist. Dh. derjenige, welcher fahrlässig oder vorsätzlich den Anwendungsbereich von § 13 Ib BtMG missachtet, also ohne dass die Voraussetzungen vorliegen, Betäubungsmittel verabreicht, setzt sich der nicht unerheblichen Gefahr eines Ermittlungsverfahrens aus. Im Falle der Fahrlässigkeit droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, im Fall des Vorsatzes sogar bis zu 5 Jahren. Wer nun aber glaubt, man stehe mit einem Bein im Knast, irrt auch hier. Dennoch ist Vorsicht und Umsicht immer angezeigt. Der wildgewordene Rettungsrambo, der meint § 2a NotSanG gebe ihm den Freifahrtschein für alles, weshalb man sich nicht an SOPs zu halten habe, sollte in diesem Fall nicht nur arbeitsrechtlich, sondern gerade auch strafrechtlich eine gute Rechtschutzversicherung haben. Denn im Fall der Gabe von Betäubungsmitteln sind, wie sich aus dem verabschiedeten Gesetz eindeutig ergibt, die Vorgaben der jeweiligen SOP zu erfüllen. Ein wenn-aber sieht die Novellierung des BtMG nicht vor, daran ändert die Ergänzung in § 2a NotSanG auch nichts. Natürlich gilt dies leider auch für die Kreise, in denen gar keine SOPs existieren, bzw. dort, wo noch ein anderer Dünkel durch die rettungsdienstlichen Mauern wabert. Dort bedarf es dann leider gerade nicht des Rettungsrambos, sondern nur der leitliniengerechten Notfallrettung, um ggf. auf den Schreitischen zuständiger Staatsanwälte zu landen. Ein trauriger Punkt, aber wie bereits erwähnt, ein Punkt der an anderer Stelle zu ändern sein wird.
Abschließend sei festgestellt, dass die Änderung ein großer, wichtiger Schritt ist, der längst überfällig war, um zu einer guten, hochwertigen Notfallrettung beizutragen. Wir sagen Danke an alle Beteiligten, insbesondere an Dr. Janosch Dahmen, Kirsten Kappert-Gonther, Dirk Heidenblut – Mitglied des Bundestages, Martina Stamm-Fibich, Kathrin Vogler, der BAND e.V. und dem DBRD.
Quellen: Bundesrat Drucksache 288/23, Deutscher Bundestag Drucksache 20/7397, Deutscher Bundestag Aussschussdrucksache 20 (14) 117 1Neu, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 028/21

Danke für Euren Artikel, der den aktuellen Stand (der bisherigen Misere) sehr gut skizziert.
Als Ergänzung möchte ich noch anmerken, dass es in Deutschland auch immer mehr Rettungsdienstbereiche gibt, in denen es Notfallsanitätern völlig legal ermöglicht wird, das Analgetikum Nalbuphin zu verabreichen. Ebenfalls ein Betäubungsmittel, allerdings als Partialantagonist nicht in der Anlage III BtMG gelistet.
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