(TF) Der Titel ist bewusst gewählt, aber nicht weil ich glaube, dass wir tatsächlich zum Feindbild eines auf der Straße arbeitenden Arztes, dem Notarzt, werden könnten. Es gibt ganz, ganz viele, sehr gute und klar denkende Ärzte. Ärzte die nicht das Gefühl haben, man möchte an ihrem Berufsbild rütteln, deren Existenz in Frage stellen, oder sie obsolet werden lassen. Ärzte, die die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für uns Notfallsanitäter für wesentlich und unabdingbar halten. Der Titel ist gewählt, weil die Reaktionen aus Seiten der Ärzteschaft und der sie vertretenden Politiker diesen Verdacht nahe legen.
Notfallsanitäter arbeiten seit fünf Jahren in einer gewissen Grauzone und können, wenn dann doch nur über den geliebten und zugleich gehassten § 34 StGB eine Rechtfertigung ihrer Arbeit erzielen. Zwar ist der Ausspruch, mit einem Bein im Knast zu stehen, äußerst plakativ und wenig zutreffend, gleichwohl karikiert er doch ganz gut die tatsächliche Situation. In der Ausbildung werden zahlreiche, auch invasive Maßnahmen gelehrt, erlernt und abgeprüft, in der Praxis selbst dürften wir sie jedoch nicht ohne weiteres anwenden, ohne uns der Gefahr eines Strafverfahrens auszusetzen (Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz). Eben dieses Spannungsfeld haben die Länder Bayern und Rheinland-Pfalz aufgegriffen und eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht (vgl. Bundesrats Drucksache 428/19).
In den neuen § 1 NotSanG soll in Absatz eins ein zweiter Satz angefügt werden, welcher da lautet: „Personen mit einer Erlaubnis nach Satz 1 sind im Rahmen der ihnen nach § 4 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c) vermittelten Kompetenz zur Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten berechtigt.“
§ 4 Absatz 2 Nummer 1c lautet: „Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind“. (Diese Bestimmung gibt es übrigens seit der Einführung des NotSanG im Jahre 2014.) Dh. aber, dass die nun vorgeschlagene Gesetzesänderung und die damit verbundene Erlaubnis heilkundlich tätig zu werden, sich nur und ausschließlich auf diese Bestimmung aus § 4 II Nr 1c NotSanG bezieht. Auf nicht mehr und auf nicht weniger!!!! Ähnliche Regelungen finden sich übrigens schon länger im Altenpflegergesetzt und Krankenpflegegesetz.
Es soll das gesetzlich fixiert werden, was heute schon vielfach auf der Straße passiert und bisher immer nur im Bereich des rechtfertigenden Notstandes seine Berechtigung findet. Das ist jedoch manchen Ärzten und ärztlichen Berufsverbänden zu viel. Man sieht sich in der eigenen Existenz bedroht und fängt an, wie wild um sich zu beißen, ohne das es hierfür jedoch objektive Gründe gäbe. Vielfach, so will ich dies einfach einmal unterstellen, erfolgen Reaktionen aus reiner Uninformiertheit und aus blankem Unwissen. Zum Teil wird jedoch auch reine Polemik betrieben und Parolen inhaltsleer in den Äther gesendet, wie man es sonst nur von einer großen Volkszeitung her gewohnt ist. Oder wie ist ein Artikel der ÄrzteZeitung ansonsten zu verstehen, wenn als Titel „Notfallsanitäter sollen spritzen dürfen“ gewählt ist, als Headliner zu lesen ist: „Invasive, lebensrettende Maßnahmen sollen künftig nicht mehr nur Ärzte, sondern auch Notfallsanitäter durchführen dürfen.“ Jeder weiß, dass dies, wie oben auch schon angedeutet, bereits Alltag im Rettungsdienst ist, jedoch bisher keiner, außer der aus § 34 StGB ergebenden, gesetzlichen Legitimierung unterliegt. Sofern nun der geneigte Leser einwenden möchte, dass auch ich mich einer gewissen Polemik in der Wahl meines Post-Titels und der verwendeten Sprachen nicht erwehren konnte, so sei entgegnet, dass diesbezüglich wohl andere Maßstäbe anzusetzen sein dürften und wir hier nur unsere eigene Meinung vertreten und nicht die eines gesamten Berufszweiges. Aber das nur am Rande. Liest man nun das, in sozialen Medien auch als Manifest bezeichnete Schreiben der DGU/DGOU, in Abstimmung mit der DGCH, BDC und BVOU, an Herrn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vom 24.09.2019, fragt man sich auch hier, basiert der Inhalt auf Unwissenheit oder ist das pure Polemik? Ich möchte diese Frage offen lassen, nicht auch zuletzt um einem möglichen Jan Böhmermann Syndrom zu entkommen, lade aber jeden Leser herzlich dazu ein, sich seine eigene Antwort dazu zu bilden.
Es erscheint nämlich wenig plausibel und eher widersprüchlich, wenn nun dem Notfallsanitäter verwehrt sein soll, zum Schutze des Patienten nicht für ihn in einer lebensbedrohlichen Situation agieren zu dürfen. Außerdem löst dies ein ganz massives Spannungsfeld aus, nämlich zwischen der Strafbarkeit nach dem Heilpraktikergesetz einerseits und die Garantenstellung und die Strafbarkeit im Fall des Unterlassens andererseits. Dies lässt sich auch nicht, wie jetzt von Regierungsparteien vorgeschlagen, durch entsprechende SOPs/Algorithmen lösen. Da es unmöglich ist einen Algorithmus zu jeder denkbaren Situation zu entwickeln. Eigenständiges Handeln lässt sich nicht in SOPs abbilden, so wie es die Regierungsfraktionen (CDU/CSU und SPD) in ihrem Änderungsantrag vom 11.10.2019 vorschlagen.
Ganz offensichtlich scheinen die Politiker in Bayern und Rheinlad-Pfalz schlauer zu sein als in Berlin. Denn dort hat man verstanden, wo die Problematik steckt. Woran dies nun liegt, vermag ich nicht zu sagen. Böse Zungen behaupten aber, dass Berlin bisweilen gerne durch Lobbyismus glänzt. Eigene Feststellungen hierzu konnte ich nicht valide treffen.
Zu begrüßen sind Stellungnahmen von Ver.di, dem BRK und der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., erstaunt kann man jedoch tatsächlich sein, dass bis jetzt keine Notarztvereinigung sich zu diesem Thema geäußert hat.
Es bleibt spannend. Ich hoffe jedoch sehr, wenngleich ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaube, dass es eine, der Bundesratsinitiative entsprechenden Gesetzesänderung im NotSanG, geben wird, um für alle Seiten eine größere Rechtssicherheit zu haben, ohne dadurch an der Position des Notarztes rütteln zu wollen.
Sehr schön geschrieben!
Zwei Punkte würde ich unbedingt hervorheben. Der eine ist: niemand hat auch nur ansatzweise gefordert, den Notarzt abzuschaffen. Ich kenne tatsächlich auch nicht einen Kollegen, der das fordert oder den Notarzt „ersetzen“ will.
Das erinnert im Wesentlichen an die Diskussion mit dem Aufkommen des NotSanG – und: die rettungsdienstliche Welt ist trotz der Einführung des Gesetzes nicht untergangen.
Der andere Punkt ist: eine gesetzliche Grundlage für den seit Jahren bestehenden Status quo ist nur ein Anfang. Die Kompetenzen müssten bundesrechtlich festgelegt und definiert werden – wann darf man welche Maßnahmen ergreifen? Dementsprechend müssten diese auch bundesweit einheitlich geschult und angewendet werden.
Die „Königreiche“ der ÄLRD sind in dieser Form leider einfach ein Problem – und führen derzeit zu vollkommen unterschiedlichen Kompetenzen, auch wenn oft keine fünf Kilometer zwischen zwei entsprechenden Orten liegen.
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