Das Gespenst der Garantenstellung im Rettungsdienst

(TF) Jeder der im Rettungsdienst arbeitet, hat im Rahmen seiner Ausbildung mal mehr, oder mal weniger über die Problematik gehört und hoffentlich auch gelesen und dabei wohl auch mitbekommen, dass es, wie häufig in der Juristerei, kein fertiges und immer gültiges Kochrezept gibt, sondern die Beantwortung der Frage mit der allgemeinem Floskel beginnt: „es kommt darauf an.“

Deswegen wird es auch an dieser Stelle nicht heißen, wenn A, dann B und wenn C, dann E. Gleichwohl wollen wir für diese Problematik sensibilisieren und dafür werben, bei zwei möglichen Wegen immer den mit der größeren Sicherheit zu wählen. Wenn man nämlich als Notfallsanitäter, aber auch als Rettungsdienstler allgemein, sich auf der Anklagebank befindet und am Ende als Verurteilter aus dem Verfahren herausgeht, riskiert man zwar nur in seltenen Fällen eingeknastet zu werden, der Verlust der Zulassung und damit der Verlust der Existenzgrundlage rückt jedoch in eine absolut greifbare Nähe.

Im Rettungsdienst entsteht immer dann die spezielle Garantenpflicht aus § 13 StGB, wenn der Notfallsanitäter die Notfallbehandlung übernommen hat. Durch die Übernahme der Schutzpflicht obliegt diesem ab sofort die Pflicht, von dem Patienten weitere Gefahren abzuhalten und das Mögliche zu tun, um die eingetretene Erkrankung oder Verletzung einzudämmen und dazu beizutragen, dass sich der Gesundheitszustand des Patienten nicht weiter verschlechtert. Das zu schützende Rechtsgut ist hier die Gesundheit des Patienten. Was dabei im Einzelfall konkret möglich, bzw. zu unternehmen ist, richtet sich nach dem allgemein anerkannten Stand rettungsdienstlicher und medizinischer Erkenntnisse und dem was im konkreten Einzelfall möglich ist. Erfolgt dies nicht, so liegt ein pflichtwidriges Unterlassen vor, was wiederum einen Schaden zur Folge haben muss. Ein Schaden wird immer dann anzunehmen sein, wenn die Gesundheit weiter, also zB. durch Verschlechterung und bis hin zum Tod, beeinträchtigt wird und sie es nicht wäre, hätte eine adäquate und mögliche Versorgung vorgelegen. Letzteres kann in der Regel nur retrospektiv beurteilt werden, dh.es müsste feststehen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der eingetretene Schaden vermieden worden wäre (z.B. BGH BGH 1 StR 130/01 – Beschluß v. 25. April 2001).

Liegt also die Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung vor, trotz physisch-realer individueller Handlungsmöglichkeiten, stellt sich im Weiteren die Frage, welcher Schaden und damit auch, welcher Tatbestand erfüllt ist.

Entscheidend ist aber auch, ob von einem sog. vorsätzlichen, oder fahrlässigem Handeln auszugehen ist. Ich unterstelle jedoch einfach einmal ganz dreist, dass die wenigsten Rettungsdienstler bewusst die Verletzung oder Schädigung des Patienten in Kauf nehmen, sondern aus welchen Gründen auch immer, bewusst oder unbewusst fahrlässig handeln und es so zu einem Schaden kommt. Zumindest wird wohl nur in den seltensten Fällen ein vorsätzliches Verhalten nachweisbar sein. Da es aber bei dieser Differenzierung von Vorsatz und Fahrlässigkeit auf die innere Haltung des Rettungsdienstlers ankommt, dieser aber jene eher selten offenbaren wird, wird anhand objektiver Umstände, also dem nach außen erkennbaren Tatverhalten, auf die innere Haltung geschlossen werden. Dh. aber auch, dass aufgrund eklatanter Fehler in der Rettungsdienstbehandlung ein vorsätzliches Verhalten und damit eine ganz andere Straferwartung in Betracht zu ziehen ist und man sich diesen Vorwürfen dann nur schlecht erwehren kann. Zur Annahme eines Vorsatzes reicht es aus, wenn der Taterfolg billigend inkauf genommen wird und eben aufgrund der objektiv feststehenden Tatumstände hiervon auszugehen ist. Nicht zu vergessen ist, dass eine vorsätzliche Tat, anders als die fahrlässige, auch teilnahmefähig ist, dh. dass der Teamkollege so schneller als Beihelfer (§ 27 StBG) oder sogar Anstifter (§ 26 StGB) mit ins Boot geholt werden kann, u.U. ist auch eine Mittäterschaft (§ 25 StGB) denkbar.

Es klingt alles sehr abstrakt und wenig greifbar, deswegen vielleicht an einem kleinen Beispiel verdeutlicht. Es handelt sich dabei um ein rein fiktives, wenngleich nicht undenkbares Fallgeschehen: Die RTW-Besatzung wird durch die Leitstelle zu einen Einsatzgeschehen geschickt, ohne Notarzt. Das Ganze ist mitten in der Nacht und das Ganze nach mehreren, zurückliegenden Einsätzen, wahlweise beim selben Patienten, oder auch bei verschiedenen. Ohne einen durchgeführten Transport wird der Patient des aktuellen Einsatzes jedoch zu Hause belassen. Am nächsten Tag ist der Patient tot, oder zumindest weiter erkrankt oder verletzt. Hat es sich nun um einen urteils- und einwilligungsfähigen Patienten gehandelt, wurde er ausreichend untersucht und über mögliche Folgen seiner Verweigerung hinreichend aufgeklärt, gab es keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Notarztes  und liegt eine gut dokumentierte Untersuchung des Patienten vor, wird der verantwortliche Notfallsanitäter Nichts zu befürchten haben. Liegen diese Voraussetzungen jedoch nicht vor, wird man mit der Möglichkeit rechnen müssen, sich des Vorwurfs des pflichtwidrigen Unterlassens ausgesetzt zu sehen. Es stellt sich nämlich in diesem Fall die Frage, lag ein pflichtwidriges Unterlassen vor, indem der Patient zu Hause gelassen wurde und hätte eine Handlungspflicht bestanden? Ob dies zu bejahen ist, hängt, wie sollte es auch anders sein, vom Einzelfall ab. Im besten, der schlechtesten Fälle, muss sich der Notfallsanitäter nur gegenüber einem Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigen. Konkret kämen dann folgende Straftatbestände in Betracht: fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB und fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB. Legt das Verhalten des Notfallsanitäters jedoch ein vorsätzliches Verhalten nahe, was bei unzureichender rettungsdienstlicher Versorgung, trotz anderweitiger Möglichkeiten, also z.B. zu schnelle oder oberflächliche oder überhaupt fehlender Untersuchung, aber auch schon bei fehlender oder zumindest mängelbehafteter Dokumentation sehr rasch der Fall sein kann, sind weitere, ansonsten nur vorsätzlich begehbare Straftatbestände und damit auch die damit verbundenen Straferwartungen im Jackpot. Die Umstände, dass es mitten in der Nacht ist, der Patient vielleicht selbst schon mehrfach den Rettungsdienst in Anspruch genommen hat, oder man überarbeitet war, wird sich kaum tatbestandsausschließend auswirken, allenfalls in der Strafzumessung würden diese seine Berücksichtigung finden. Hilfreich ist das dann aber auch nicht mehr, denn der drohende Jobverlust wäre dadurch in keiner Weise abgewendet.

In dem obigen Fallbeispiel sollte aber auch der Teamkollege nicht unberücksichtigt bleiben. Ihn trifft, selbst wenn es „nur“ ein Rettungssanitäter sein sollte, gleichsam eine Garantenpflicht dem Patienten gegenüber, wenngleich mit Sicherheit nicht auf dem selben Niveau, wie die des Notfallsanitäters. Auch wenn es hier um Remonstrationspflicht und Remonstrationsrecht geht und dies gerade im medizinischen Kontext ein eigenes Kapitel wert ist, sollte sich jeder im Einsatz beteiligte Rettungsdienstler mit den Konsequenzen seines Verhaltens, aber auch des, des Teamkollegens auseinandersetzen.

Das die vorstehenden Gedanken nicht nur rein theoretischer Natur sind, zeigt der aktuelle und medial bekanntgegebene Fall aus Rostock.

Die Garantenpflicht ist und bleibt ein Gespenst, welchem man nur annähernd dann gerecht werden kann, wenn man gründlich und genau arbeitet, ohne von dem Gedanken getrieben zu werden, „möglichst schnell wieder aufs Sofa zu kommen“, aber auch ohne jedes Mal Dr. House zu entsprechend und bei jedem Hufegetrappel das Zebra suchen zu wollen.

3 Gedanken zu “Das Gespenst der Garantenstellung im Rettungsdienst

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